Der Zahnarzt, der nur schaut und berät

In der ersten unabhängigen Beratungspraxis bietet der Luzerner Zahnarzt Marco Bianchi Patienten eine zahnärztliche Zweitmeinung.

Quelle: Roseline Troxler (Text), Dominik Wunderli (Bild), Luzerner Zeitung: 16. November 2020.

Marco Bianchi

Dr. med. dent., eidg. dipl. Zahnarzt SSO

«Die Idee kam plötzlich aus dem Nichts», erzählt Marco Bianchi. Im Februar eröffnete er an der Cysatstrasse 15 in der Stadt Luzern die erste unabhängige zahnärztliche Praxis für Patientenberatung in der Schweiz. Bianchi war in seiner beruflichen Karriere während 35 Jahren als Zahnarzt tätig. Er hatte unter anderem in Ruswil eine zahnärztliche Allgemeinpraxis und später in Rothenburg eine Praxis für Kieferorthopädie. Vermehrt habe er in den letzten Jahren – sei es im Restaurant, in der Badi oder irgendwo in der Öffentlichkeit – das Thema Zahnarzt vernommen. Bianchi sagt: «Fragen zu Kosten, Notwendigkeit oder Entscheide zu künftigen Behandlungen wurden rege diskutiert. Die Leute waren oft verunsichert.» All dies hat ihn veranlasst, eine Praxis für die Patientenberatung zu eröffnen. Der 71-Jährige betreibt diese während dreier Halbtage pro Woche. «Eine unabhängige Zweitmeinung kann den Patienten helfen, ihre Unsicherheit oder Zweifel zu minimieren.» Der Zahnarzt berät also vor, während und nach Eingriffen.

In Luzern gibt es derzeit knapp 190 Zahnarztpraxen, wie es beim Kanton heisst. Erhöht hat sich in den letzten Jahren nicht nur die Zahl der Praxen, sondern auch jene der Zahnärzte – und zwar um 60 Prozent zwischen 2010 und 2019. So stieg die Zahl von 255 auf 411 Zahnärzte. In Städten und grösseren Agglomerationen wurden in den letzten Jahren viele Ketten von Zahnarztpraxen eröffnet. «Dadurch entsteht wie in jeder Branche ein Konkurrenzdruck, und durch das Überangebot wird der ‹Patientenkuchen› auf vielmehr Zahnärzte aufgeteilt. Die Gefahr von Überbehandlung ist natur- gemäss gegeben», sagt Marco Bianchi. Er unterstreicht, dass es ihm nicht um das Anschwärzen von Berufskollegen geht. «Mit meiner Beratung will ich für die Patienten eine gute Lösung finden und zwischen Patient und Zahnarzt den Dialog suchen und vermitteln.»

Patientenstelle begrüsst das Angebot

Bianchi ist auch im Vorstand der Patientenstelle Zentralschweiz vertreten und dort als Vertrauensarzt tätig. Will heissen: Er berät auch Personen, die sich an die Patientenstelle wenden. «Wir begrüssen das Angebot der unabhängigen zahnärztlichen Beratung sehr», sagt Stellenleiterin Barbara Callisaya. Ihr sei- en keine vergleichbaren Angebote bekannt. Die Patientenstelle Zentralschweiz verzeichnete 2019 73 Fälle, die zahnmedizinischen Behandlungen betrafen. Callisaya meint: «Die Leute sind nach wie vor nicht sensibilisiert auf qualitativ hochstehende Behandlungen, Schnäppchen werden gesucht.»

Der Luzerner Kantonszahnarzt Peter Suter sagt zum Angebot: «Es kann hilfreich sein, wenn Patientinnen und Patienten zur Notwendigkeit und zum Umfang vorgeschlagener zahnärztlicher Behandlungen eine Zweitmeinung einholen können.» Im Kanton Luzern gibt es laut dem Kantonszahnarzt keine weitere Praxis, die sich alleine auf die Beratungstätigkeit beschränkt.

Marco Bianchi arbeitet mit Spezialisten aller Fachgebiete der Zahnheilkunde zusammen und ebenso mit den Universitäten Zürich und Bern. Er hat auch die Arbeit von Zahnärzten für Versicherungen beurteilt, wenn es zu Streitigkeiten mit Patienten gekommen ist. In einem Fall musste ein Patient die Implantate grundlegend neu machen lassen, weil ein Zahnarzt gepfuscht hatte. «Es gibt schwarze Schafe, aber das ist eine kleine Minderheit.» Diese aus dem Verkehr zu ziehen, sei aber sehr schwierig, so Bianchi. Der Kanton Luzern ist laut Kantonszahnarzt Peter Suter zahnärztlich gut bis sehr gut versorgt. «Die Zahnärztinnen und Zahnärzte leisten in der Regel gute Arbeit.»

An der Cysatstrasse in Luzern hat Marco Bianchi eine komplett eingerichtete Praxis. Er hat aber bewusst keine Röntgenanlage installiert und kann auch keine Behandlungen durchführen. «Damit will ich meine Unabhängigkeit gegenüber den Patienten und Berufskollegen wahren.»

Anfragen aus der ganzen Schweiz

In den letzten Monaten hat Bianchi rund 40 Personen in der Praxis empfangen. Weitere Personen hat er telefonisch beraten. «Bei kurzen telefonischen Auskünften verrechne ich kein Honorar.» Ansonsten rechnet er für den Aufwand mit sozialen Taxpunkten ab. Dabei handle es sich um den niedrigsten Satz, führt Bianchi aus. Nicht nur Luzerner wenden sich an Bianchi. Er er- halte aus der ganzen Schweiz Anfragen. Ein Grossteil betreffe Implantate, Kronen oder Brücken, also sehr teure Eingriffe.

Marco Bianchi empfiehlt Personen, die einen neuen Zahnarzt suchen, ein SSO-Mitglied auszuwählen. Mitglieder der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft verpflichten sich laut Bianchi, regelmässig Fortbildungen zu besuchen. Auch scheuen sich laut dem Zahnarzt noch zu viele Patienten davor, eine Zweitmeinung einzuholen. «Das kostet zwar, aber dadurch kann nicht selten viel Geld gespart werden.»

Viele Berufskollegen begrüssen das Angebot der unabhängigen zahnärztlichen Beratungsstelle, wie Bianchi sagt. Angeklopft hat bei Bianchi vor kurzem auch die Patientenstelle Zürich, die künftig mit dem Zahnarzt zusammenarbeiten will. Dem Luzerner geht die Arbeit so schnell also nicht aus.

Der Zahnarzt, der nur schaut_LZ16.11.2020

Quelle: Roseline Troxler (Text), Dominik Wunderli (Bild), Luzerner Zeitung: 16. November 2020.

Dr Bianchi Luzern

Quelle: Dominik Wunderli (Bild)